Wirtschaft im Dienst des Lebens – Markt, Ökologie und Soziales: Die Sorge um das gemeinsame Haus

Bericht und Aufzeichnung

Am 11. Januar 2021 veranstaltete die Katholische Sozialwissenschaftliche Zentralstelle (KSZ) gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) ein digitales Kolloquium mit dem Titel „Wirtschaft im Dienst des Lebens – Markt, Ökologie und Soziales: Die Sorge um das gemeinsame Haus“. Damit greift bereits der Titel Papst Franziskus’ Umweltenzyklika Laudato Si‘ – Über die Sorge für das gemeinsame Haus auf. Darauf nahm auch Herr Dr. Peter Fischer-Bollin, Leiter der Hauptabteilung Analyse und Beratung der KAS der stellvertretend für den kurzfristig verhinderten Hermann Gröhe MdB die Begrüßung und Eröffnung der Veranstaltung übernahm, in seiner Einleitung Bezug. Er unterstrich dabei, welcher Meilenstein das Jahr 2015 für die Klimapolitik war: Neben der Veröffentlichung von Laudato Si‘ sei dies auch das Jahr gewesen, in dem die Pariser Klimaschutzziele vereinbart worden seien, und sich die UN auf die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung geeinigt habe.

Die Veranstaltung wurde moderiert von Frau Dr. Friederike Repnik, Beraterin für den Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit und Versöhnung bei Agiamondo e.V. Die Keynote hielt der renommierte Klimaforscher und Ökonom Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Professor an der TU Berlin, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).

Den Flyer mit dem Programm der digitalen Veranstaltung finden Sie zum Download hier.

Zur Aufzeichnung des Berichts im YouTube-Vodcast der Grünen Reihe:

Veranstaltungsbericht

Keynote von Prof. Dr. Edenhofer

Prof. Edenhofer überschrieb seine Keynote mit dem Titel „Der EU-Green Deal und seine Herausforderungen für Deutschland“. Zunächst leitete er diese mit umfangreichen sozialethischen Überlegungen ein, die die Grundschwierigkeit jeglicher Klimapolitik verdeutlichen sollte, deren Ziel es sei, gefährlichen Klimawandel zu vermeiden. Als gefährlich wird der Klimawandel jenseits einer mittleren globalen Erwärmung um zwei Grad Celsius bezeichnet. Dazu müsse ein Großteil der fossilen Brennstoffe aber in der Erde verbleiben, was zu der in der Geschichte der Menschheit einmaligen Situation führe, dass diese angesichts der Klimakrise nicht mit einer Knappheit umzugehen habe, die die Natur ihr vorgäbe, sondern mit einer Knappheit, die sie selber erzeugen müsse, um die begrenzte CO2-Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre abzubilden und Anreize dafür zu schaffen, die fossilen Energieträger im Boden zu belassen. Durch die Bepreisung von CO2 entstünden zudem Mehreinnahmen, die wiederum in den notwendigen technologischen Fortschritt und in die Abfederung der sozialen Kosten investiert werden könnten, die insbesondere für die Armen durch die Transformation der Wirtschaftssysteme entstünden.

Zwei Dinge betonte Prof. Edenhofer an dieser Stelle: Es sei bemerkenswert, dass die Klimakonferenz 2015 zu einem einstimmigen Ergebnis geführt habe, obwohl gerade die Länder, die großes Eigentum an den fossilen Energieträgern besitzen, daran teilnahmen. Und zum anderen hob er hervor, dass die 2015 veröffentlichte Enzyklika Laudato Si‘ das erste internationale öffentliche Dokument sei, das das Klima ausdrücklich als ein Gemeingut ausweise (vgl. Laudato Si‘ Nr. 23).

Von diesem Gedanken ausgehend, dass die Atmosphäre ein Gemeingut sei, machte Professor Edenhofer noch einmal besonders deutlich, dass marktbasiertes Wirtschaften nur dann funktioniert, wenn sich alle Kosten in einem Preis widerspiegeln. Daher müsse auch die Beanspruchung von Gemeingütern und die damit verbundenen sozialen Kosten in der Bepreisung transparent sein. Im erneuten Rückgriff auf die Enzyklika Laudato Si‘ (Nr. 195) machte er klar, dass sich eine solche Bepreisung ethisch verantwortet nur am Verursacherprinzip ausrichten könne. An weiteren Punkten machte er die Leistungsfähigkeit des Modells der CO2-Bepreisung deutlich. Es habe dazu geführt, dass Deutschland schon sehr viel früher den Kohleausstieg in Angriff nehme, als das die „planwirtschaftlich“ arbeitende Kohlekommission hätte erreichen können.

In diesem Zusammenhang sieht er auch den „EU Green Deal“, der eine Vorbildfunktion für die Entwicklung von Modellen der CO2-Bepreisung weltweit übernehmen könne, wenn er sich nicht zu einer „regulatorischen Monsterwelle“ entwickle. Dass sich nach dem von der EU ausgegebenen Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, auch China dasselbe Ziel bis 2060 gegeben habe, führte er bereits auf die Signalwirkung des „Green Deal“ zurück.

Entscheidendes Ziel müsse der weltweite Kohleausstieg sein. Ein mögliches Modell zu einem koordinierten Ausstieg sieht Edenhofer darin, dass Transferleistungen an eine schrittweise Einführung einer CO2-Bepreisung gekoppelt sein könnten.

Er fasste die Kerngedanken seiner Keynote in den folgenden vier Punkten zusammen:

  1. Gemessen an der begrenzten Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre gibt es ein Überschussangebot an fossilen Energieträgern.
  2. Es bedarf einer CO2-Bepreisung, die sich am Verursacherprinzip ausrichtet.
  3. Der „EU Green Deal“ kann dazu ein wichtiger Schritt sein.
  4. Es bedarf einer vermehrten internationalen Kooperation, die kurzfristig zu einem koordinierten weltweiten Kohleausstieg führt.

Diskussion – Prof. Dr. Edenhofer; Prof. h.c. Dr. Karen Horn; Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck

Es schloss sich eine Diskussion an zwischen dem Bischof von Essen und Vorsitzendem der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz, Dr. Franz-Josef Overbeck, der Wirtschaftsjournalistin Prof. h.c. Dr. Karen Horn sowie Prof. Edenhofer.

Zur Eingangsfrage, was aus ordnungspolitischer Sicht in Bezug auf die Klimapolitik die wesentlichen Fehler der vergangenen Zeit waren und was man aus ihnen lernen könne, unterstrich Frau Prof. Horn noch einmal deutlich, dass es ein Kernanliegen der Ordnungsvorstellung der Sozialen Marktwirtschaft sei, ethische Werte und ökonomische Effizienz miteinander zu verbinden. Dazu sei es von herausragender Bedeutung, externe Kosten auch in Preisen zu internalisieren, um private Kosten an die sozialen Kosten anzugleichen. Einen passenden Mechanismus dafür zu finden, war jedoch ein Lernprozess. Die Idee der international einheitlichen CO2-Bepreisung sei ein relativ junges Konzept, das entwickelt worden sei, nachdem der Emissionszertifikatehandel erkennbar nicht in der gewünschten Weise funktionierte.

Danach stellte Frau Dr. Repnik an Bischof Overbeck die Frage nach dem Zusammenhang von sozialer Gerechtigkeit und gelingender sozialökologischer Transformation. Bischof Overbeck machte dabei zunächst deutlich, dass in der Frage nach dem Umbau der Wirtschaftsordnungen verschiedene Logiken griffen. So stellte er neben die ökonomische Logik auch eine politische und eine kulturelle. Die Veränderung könne nur gelingen, wenn die Perspektive der sozial Schwächsten auch mit eingebracht werde. Das habe aber seines Erachtens bei der Diskussion um die CO2-Bepreisung bisher kaum eine Rolle gespielt. Die Politik sei hier gefragt. Er verwies dazu auf seine Erfahrungen als Bischof des Bistums Essens einerseits und als zuständiger Bischof für das katholische Südamerika-Hilfswerk Adveniat andererseits: Während der Ausstieg aus der Kohle im Ruhrgebiet auch deswegen gelungen sei, weil die Politik die Perspektive der sozial Schwächeren mit einbezogen habe, stelle sich eine entsprechende Transformation in Südamerika ungleich schwieriger dar. Dort gelinge es häufig nicht, diese Perspektive einzubeziehen. Daneben stellte er seine Überlegung zur kulturellen Logik: Die Menschen in den verschiedenen Ländern müssten auch veränderungswillig sein und Einsicht sei immer eine Frage von Bildung. In beiden Feldern sieht er Bereiche, in denen die Kirche einen spezifischen Beitrag leisten könne und müsse.

Danach richtete sich der Blick auf den „EU Green Deal“. Dessen besondere Stärke sei nach Prof. Edenhofer der gemeinsame Bezugsrahmen, den dieser Deal schaffe: Die ökologische Transformation der Wirtschaftsordnung in Osteuropa dürfte sich kaum in dem atemberaubenden Tempo vollzogen haben, wie sie es faktisch tat, wenn die EU nicht dafür die entsprechenden Anreize gesetzt hätte und weiterhin setzen würde. Er sieht demgegenüber aber zwei Schwierigkeiten: Einerseits die bereits in seiner Keynote angesprochene Gefahr einer Überregulierung, die die richtige und gutgemeinte Intention am Ende unterminiere und andernfalls die fehlende Selbstbindung der Politik. Es müsse klar sein, dass der Green Deal bei sich ändernden Mehrheiten nicht wieder Gegenstand der Verhandlung sein könnte, da andererseits Unternehmen sich nicht verlässlich auf die ökologische Transformation einstellen könnten. Darüber hinaus habe der ökologische Umbau insgesamt ein „kulturelles“ Problem: Modelle zum Umgang mit der Klimakrise klängen immer „kalt und technisch“. Es bedürfe deshalb eines Narrativs, um die intrinsische Motivation zur Klimafreundlichkeit zu verstärken. Wie eine Untersuchung unter Studierenden zeige, fördere die CO2-Einpreisung eher eine solche intrinsische Motivation.

Frau Prof. Horn führte in ihrer Antwort die Unterscheidung zwischen einer Verzichts- und einer Marktlogik ein. Die Verzichtslogik laufe auf die Schaffung des neuen Menschen hinaus, entspreche nicht der Wirklichkeit, in der wir uns bewegen, und stelle zudem ein soziales Problem dar: Die wirtschaftliche Knappheit sei im globalen Maßstab viel zu groß, als dass man die nötige Kraft zu ihrer Überwindung durch ein Verzichtsmodell erreichen könne. Entsprechende marktwirtschaftliche Instrumente, wie etwa eine CO2-Bepreisung, mögen zwar technisch klingen, führten aber am Ende zu einer Win-Win-Situation für alle. Zudem verhindere dies Extremlösungen, wie es ein Verzichtsmodell darstelle.

Bischof Overbeck reagierte darauf und machte deutlich, dass Verzichts- und Marktlogiken sinnvoll durch eine Haltungslogik ergänzt bzw. vermittelt werden könnten, wie sie Papst Franziskus in Laudato Si‘ entwickele. Auch die Rede von „sozialer Liebe“ in seiner jüngsten Enzyklika Fratelli tutti könnten in dieser Hinsicht hilfreich sein.

In einem letzten Schritt wurde über die Krise des Multilateralismus diskutiert und worauf sich Klimapolitik deswegen konzentrieren solle. Zunächst unterstrich Prof. Edenhofer noch einmal: Der Multilateralismus habe bei der Klimakonferenz 2015 ein ganz erstaunliches Ergebnis gezeitigt, dessen Erfolg sich auch daran zeigte, dass niemand Donald Trump gefolgt sei, als er die USA aus dem Klimaabkommen aussteigen ließ. Bei allen Schwächen und berechtigter Kritik gelte es auch die Stärken und Erfolge des Multilateralismus in den letzten Jahren zu sehen. Auch dass man mit Laudato Si‘ ein offizielles internationales Dokument habe, dass das Klima als globales Gemeingut betrachte, sei viel wert. Zudem sei es für ihn auch klar, dass Multilateralismus nur dann gelingen könne, wenn es eine Form internationalen Finanzausgleichs gäbe. Frau Prof. Horn unterstrich zudem noch einmal, dass es gerade der Ordnungspolitik daran gelegen sei, Extremlösungen zu vermeiden. Wer Freiheit und Eigentum sichern und auf solche Extremlösungen verzichten wolle, dem müsse nun klar sein, dass beim Klimaschutz nicht noch einmal zehn Jahre verschlafen werden dürften. Bischof Overbeck machte erneut deutlich, dass gerade in globaler Perspektive die katholische Kirche mit 1,3 Milliarden Katholiken im Blick auf die multilaterale Bewältigung der Krise einen entscheidenden Beitrag leisten könne.

Zuletzt wurde von allen drei Diskussionsteilnehmenden auf eine Zuschauerfrage reagiert, ob die Perspektive der Ablehnung einer Verzichtslogik nicht eurozentristisch sei. Frau Prof. Horn widersprach dem: Es sei gerade nicht eurozentristisch, eine Verzichtslogik abzulehnen, da nur eine Marktlogik weltweite Armut bekämpfen könne. Ihrer Ansicht nach sei schon die Möglichkeit, die Frage nach einer Verzichtslogik stellen zu können, ein Luxus, der erst ab einem entsprechenden Wohlstandsniveau zur Verfügung stände. Prof. Edenhofer sekundierte dem mit einem empirischen Argument: Die Corona-Krise habe zu einem massiven Rückgang der CO2-Emissionen geführt, der aber bei aller Signifikanz immer noch viel zu gering sei. Es bedürfe also auch des technologischen Fortschritts. Die Suchbewegung nach neuen Technologien koordinierten aber erfolgreich allein Märkte. Verzicht allein reiche also nicht. Zudem sei in normativer Perspektive der Sinn des ökonomischen Denkens in den Kategorien von Märkten und vor allen Dingen der Sinn der Wirtschaft nicht in erster Linie der private Konsum, sondern die Bereitstellung auch von öffentlichen Gütern. Afrikanische Staaten wären sicherlich nicht bereit, auf Wachstum zu verzichten. Viel entscheidender als Verzicht sei es also, die externen Kosten zu internalisieren um den Strukturwandel zu steuern. Auch Bischof Overbeck machte klar: Angesichts weltweiter Armut könne die Verzichtsfrage nicht die erste Frage sein. Neben Verteilungsfragen gehe es auch um eine Haltungsfrage: Nächstenliebe ist immer noch eine stärkere Motivationsquelle, die dazu führt, dass Menschen um anderer Menschen willen auf etwas verzichten. Insofern solle man eher optimistisch nach vorne blicken.

Frau Dr. Repnik schloss die Diskussion, indem sie drei Punkte besonders hervorhob, die sichihres Erachtens aus dem Gespräch herauskristallisiert hätten:

  1. Es gehe darum, Milieus zusammenzubringen um alle in den notwendigen Wandel einzuschließen.
  2. Es gehe darum, viel stärker strukturell zu denken.
  3. Es gehe darum, gerade jetzt die Tür für eine ambitionierte Klimapolitik offenzuhalten und jetzt mit Haltungsstärke zu handeln.

Schlusswort – Prof. Dr. Peter Schallenberg

Nach einer kurzen Öffnung für eine Diskussion der von den Zuschauern gestellten Fragen schloss die Versammlung mit einem Schlusswort des Direktors der KSZ, Prof. Dr. Peter Schallenberg. Er stellte dabei ebenfalls drei Punkte heraus, die sich seines Erachtens im Rahmen der Veranstaltung gezeigt hätten:

  1. Es stelle sich besonders die Frage, was der Sinn der Wirtschaft sei. Dieser bestehe eben nicht in erster Linie in der Ermöglichung privaten Wohlstands, sondern in der Ermöglichung privaten guten Lebens, wozu es auch die Bereitstellung von öffentlichen Gütern bedürfe. Eine so verstandene Wirtschaft sei das, was man mit Papst Franziskus eine Wirtschaft im Dienst des Lebens nenne könne. Der vielzitierte Satz von Papst Franziskus, „Diese Wirtschaft tötet“, beziehe sich dabei auf eine Ordnung, die einseitig auf die Schaffung privaten Wohlstands fixiert sei. Deswegen brauche es Ordnungspolitik, um den Sinn der Wirtschaft auch erfüllen zu können.
  2. In Bezug auf das in Papst Franziskus jüngster Sozialenzyklika Fratelli tutti zentrale Gleichnis des barmherzigen Samariters machte Prof. Schallenberg deutlich, dass sich die katholische Soziallehre immer auf das menschliche Individuum, das im Straßengraben liege und dem geholfen werden müsse, konzentriert habe. Nun sei es aber diesmal vielmehr so, dass das Klima im Straßengraben liege und es gelte, die Tugenden des barmherzigen Samariters nun auch im Blick auf die Klimakrise zu motivieren.
  3. Abschließend unterstrich er noch einmal, dass Laudato Si‘ wünschenswert verdeutliche, dass das Klima ein öffentliches Gemeingut sei.

Mag. theol. Stefan Gaßmann

Wissenschaftlicher Referent der KSZ